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Weshalb Konsistenz zwischen Beispielen und Ansprüchen zur Robustheit eines europäisches Patents gegen Angriffe beitragen kann

Written by Michael Braun | 29.3.2023

inwieweit kann eine Regel, die im Kontext eines Vergleichs zwischen Patent und Stand der Technik entwickelt wurde, auf einen Binnenvergleich zwischen den Beispielen und den Ansprüchen eines Patents angewandt werden? Der nachstehende Beitrag befasst sich mit dieser Fragestellung.

Die gängige EPA-Praxis bei unterschiedlichen Genauigkeiten von Zahlenwerten bei der Bewertung der Patentierbarkeit

Patentansprüche enthalten oftmals Wertebereiche, deren Grenzen (Ober- und Untergrenze) mit einer bestimmten Genauigkeit angegeben werden. In dem hier betrachteten Fallbeispiel gehen wir von einer Obregrenze von „1“ aus (anstelle von bspw. „1,0“). Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes kann es angemessen sein, beim Vergleich mit dem Stand der Technik, der einen Zahlenwert mit höherer Genauigkeit offenbart (beispielsweise „1,1“), die Genauigkeit des offenbarten Wertes an die Genauigkeit im Patentanspruch anzupassen (siehe z. B. die Entscheidungen T 1186/05, T 708/05 und T 871/08). Demnach wäre der Wert „1“ eines Patentanspruchs nicht mehr neu gegenüber dem Wert „1,1“ aus dem Stand der Technik.

In diesem Beitrag zeigen wir, dass nach Meinung der Beschwerdekammern dieses Prinzip aus der Neuheitsanalyse nicht ohne Weiteres bei Genauigkeitsunterschieden zwischen den Beispielen und Ansprüchen eines europäischen Patents angewendet werden kann (siehe die Entscheidung T 0942/17), und erläutern, warum beim Formulieren der Patentanmeldung trotzdem auf Werteangaben mit konsistenter Genauigkeit geachtet werden sollte.

Erfinderische Tätigkeit und experimentelle Daten

Patente enthalten häufig Beispiele in Einklang mit der Erfindung, und Vergleichsbeispiele, die von der Erfindung abweichen. Nehmen wir an, eine Erfindung besteht darin, den Gehalt einer Komponente A auf einen bestimmten Bereich einzustellen, in unserem Beispiel 0,1 bis 1 %, wodurch laut Patent ein vorteilhafter Effekt B erzielt wird. Das Patent enthält Beispiele, in denen der A-Gehalt 0,1 bis 1 % beträgt, und Vergleichsbeispiele, in denen der A-Gehalt kleiner ist als 0,1 % oder eben grösser als 1 %, wobei die Vergleichsbeispiele den gewünschten Effekt B nicht erzielen.

Beispiele:                               0,1 % < A < 1%               -->             Effekt B

Vergleichsbeispiele:            A < 0,1% oder A > 1 %   -/->            Effekt B

Experimentelle Vergleiche dieser Art können zeigen, dass gewisse Merkmale (hier der A-Gehalt) zu einem bestimmten Effekt führen. Sofern aus dem Stand der Technik nicht bekannt ist, dass der bestimmte A-Gehalt den Effekt B bewirkt, ist man unter Umständen in der Lage, stichhaltige Argumente zum Beleg einer erfinderischen Tätigkeit zu formulieren. Geeignete und schwer widerlegbare Beispiele und Vergleichsbeispiele können sich daher im Erteilungsverfahren bzw. im Einspruchs(beschwerde)verfahren für den Anmelder/Inhaber als sehr hilfreich erweisen.

Aus einem anderen Blickwinkel, beispielsweis aus Sicht einer angreifenden Partei im Einspruchsverfahren vor dem EPA, kann eine geeignete Strategie darin bestehen, das jeweilige Gegenteil aufzuzeigen. Als besonders überzeugend können sich beispielsweise nachgereichte Experimente erweisen, die zwar alle Merkmale des Hauptanspruchs erfüllen, jedoch nicht zu dem Effekt B führen.

Eine nur scheinbar unerhebliche Inkonsistenz zwischen den Beispielen und den Ansprüchen

In unserem Fallbeispiel wird gegen das Patent ein Einspruch eingelegt.

Das Patent (A-Gehalt beträgt 0,1 bis 1 %) enthält ein Vergleichsbeispiel (Vergleichsbeispiel = nicht erfindungsgemäß), welches einen Gehalt der Komponente A von 1.1 % aufweist. Nachdem es sich um ein Vergleichsbeispiel handelt, zeigt es den vorteilhaften Effekt B nicht. Demgegenüber wird im maßgeblichen Patentanspruch der Bereich mit 0.1 bis 1 % angegeben. Auf den ersten Blick scheint ins Auge zu springen, dass 1.1 % mehr ist als 1 %. Ist dem wirklich so? Schließlich ist der A-Gehalt im Vergleichsbeispiel mit höherer Genauigkeit (nämlich mit einer Nachkommastelle) angegeben als der A-Gehalt im Anspruch ohne Nachkommastelle („1 %“ anstelle von etwa „1,0 %“). Die Einsprechende erhebt einen entsprechenden Einwand, sodass sich die Einspruchsabteilung und danach die Beschwerdekammer mit folgender Frage befasst: Liegt der Wert von 1,1 % innerhalb oder außerhalb des Bereiches von 0,1 bis 1 %?

Die Einsprechende stützt sich auf angrenzende bzw. verwandte Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, die sich mit der gleichen Frage in anderem Kontext befasst. Denn wie vorstehend bereits erwähnt, hat die Rechtsprechung schon vor längerer Zeit die Frage beantwortet, wie Zahlenwerte aus dem Stand der Technik mit höherer Genauigkeit (z. B. „1.1 %“) mit Zahlenwerten eines Patents mit geringerer Genauigkeit verglichen werden können: Um einen sinnvollen Vergleich zu ermöglichen, ist der Wert aus dem Stand der Technik mit höherer Genauigkeit durch Anwenden der gängigen Rundungsregeln an die Genauigkeit des Wertes im Patent anzupassen, sofern dem nichts entgegensteht.

Wendet man diese Regel aus der Rechtsprechung analog auf unseren hypothetischen Fall an, wäre – mit Hinblick auf die Genauigkeit der Obergrenze des Bereichs „0,1 bis 1 %“ – der Wert von 1.1 % durch Runden auf „1 %“anzupassen. Damit würde der Wert von „1,1 %“ innerhalb des besagten Bereichs „0,1 bis 1 %“ liegen. Das Beispiel mit 1,1 % wäre somit nicht wie im Patent angegeben als Vergleichsbespiel heranzuziehen, sondern müsste als erfindungsgemäßes Beispiel betrachtet werden. Deshalb und weil das 1,1 %-Beispiel den vorteilhaften Effekt B nicht erzielt, müsste es als Beleg dafür gewertet werden, dass der vorteilhafte Effekt B nicht über den gesamten Bereich „0,1 bis 1 %“ erzielt wird. Wie vorstehend erwähnt, gilt am EPA in der Praxis häufig die Regel:

„Ohne vorteilhaften Effekt keine erfinderische Tätigkeit, ohne erfinderische Tätigkeit kein Patent“.

Das Ergebnis

Bevor wir in unserem Fallbeispiel zu einer Entscheidung kommen können, stellt sich zunächst noch die Frage, inwieweit eine Regel, die im Kontext eines Vergleichs zwischen Patent und Stand der Technik entwickelt wurde, auf einen Binnenvergleich zwischen den Beispielen und den Ansprüchen eines Patents anwendbar ist.

Zumindest in der Entscheidung T 0942/17 (welche dem hier stark vereinfachte Fallbeispiel zu Grunde liegt) verneinte die zuständige Beschwerdekammer diese Frage. Die Kammer stellte fest (nachfolgende Werte geringfügig angepasst), dass durch Anwenden der Rundungsregeln selbst ein Wert, der fast 50 % oberhalb der Obergrenze von 1 % liegt (beispielsweise 1,49 %) noch innerhalb des Bereichs „von 0,1 bis 1 %“ liegen würde, sodass die Kammer das Anwenden von Rundungsregeln auf einen Binnenvergleich unter der gegebenen Fallkonstellation als unangemessen ablehnte. Zudem würde die Bezeichnung des 1,1 %-Beispiels als Vergleichsbeispiel bestätigen, dass eine Auslegung des Bereichs „von 0.1 bis 1 %“ unter Hinzuziehung von Rundungsregeln nicht sinnvoll sei.

Nach Ansicht des Autors ist die Entscheidung der Beschwerdekammer zu begrüßen. Ein unreflektiertes Anwenden der Rundungsregeln auf einen Binnenvergleich zwischen experimentellen Daten und Ansprüchen eines Patents kann dazu führen, dass in sich stimmige experimentelle Daten des Patentinhabers als Belege gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit gewertet werden. Eine derartige kafkaeske Auslegung des Patents sollte nach Möglichkeit vermieden werden.

Auch wenn im vorliegenden Fall zu Gunsten des Patentinhabers entschieden wurde, scheint nicht ausgeschlossen, dass in einer anderen Konstellation ein Vergleichsbeispiel als erfindungsgemäßes Beispiel ausgelegt werden könnte. Beträgt die Obergrenze im Anspruch beispielsweise nicht 1 %, sondern 9 %, so führt die Anwendung der Rundungsregeln nicht dazu, dass ein Wert, der fast 50 % oberhalb der Obergrenze liegt, noch innerhalb des beanspruchten Bereichs fällt. Hier wären es lediglich ca. 6% (9,5/9 ergibt – gerundet – 1,06), sodass hier eine Entscheidung zu Ungunsten des Patentinhabers deutlich wahrscheinlicher scheint.

Fazit

Beim Abfassen von Patentanmeldungen sollten nach Möglichkeit geeignete Beispiele und Vergleichsbeispiele formuliert werden. Derartige aussagekräftige experimentelle Vergleichsuntersuchungen können zu einem unkomplizierten Erteilungsverfahren beitragen und das erteilte Patent gegen Angriffe wie Einsprüche und Nichtigkeitsklagen stärken. Dabei sollte darauf geachtet werden, Inkonsistenzen zwischen dem Schutzbereich der Ansprüche und der Darstellung der Erfindung in den anderen Teilen der Patentanmeldung bzw. des Patents zu vermeiden. Insbesondere sollte vermieden werden, den Gegenstand der Patentansprüche in einem Grad zu verallgemeinern, dass die selbst gewählten Vergleichsbeispiele in den Bereich der Ansprüche fallen.

Dieser Artikel wurde auch auf Lexology veröffentlicht.